Full House

Meine Eltern gehörten nicht zu den Leuten, die zu festen Zeiten ins Bett gehen. Der Schlaf überkam sie, aber weder die Zeit noch der Gedanke an eine Matratze schienen dabei von großer Bedeutung. Mein Vater bevorzugte einen Stuhl im Keller, doch unsere Mutter schlief überall ein und wachte auf mit roten Striemen im Gesicht vom Teppich oder dem Abdruck des Sofapolsters auf der weichen Haut ihrer Unterarme. Es war in gewisser Weise peinlich. Sie kam auf ihre acht Stunden Schlaf am Tag, aber niemals am Stück, und auch ohne die Kleidung zu wechseln. Zu Weihnachten schenkten wir ihr Nachthemden, in der Hoffnung, sie würde den Hinweis verstehen. »Die sind zum Schlafen da«, sagten wir, und sie sah uns nur ungläubig an, als sei der Moment des Schlafs wie der des eigenen Todes zu unvorhersehbar, um sich ernsthaft darauf vorzubereiten.

Der Vorteil, gewissermaßen von zwei Hauskatzen großgezogen zu werden, war der, dass man nie zu bestimmten Zeiten ins Bett musste. An einem normalen Wochentag um zwei Uhr nachts sagte meine Mutter nicht, »jetzt aber ins Bett«, sondern eher, »bist du nicht langsam müde?«. Es war kein Befehl, sondern eine aufrichtige Frage, und die Antwort bewirkte kaum mehr als ein Achselzucken. »Wie du meinst«, sagte sie und schenkte sich ihre vermutlich dreißigste oder zweiundvierzigste Tasse Kaffee ein. »Ich bin auch nicht müde. Weiß auch nicht, warum.«

In unserer Familie ging niemals das Licht aus, und unser Fernseher war so heiß, dass wir einen Küchenhandschuh brauchten, um den Sender zu wechseln. Jeder Abend war wie eine Pyjamaparty bei Freunden, als wir in das Alter für solche Feten kamen, daher zeigten meine Schwestern und ich wenig Interesse.

»Aber wir können aufbleiben, solange wir wollen«, sagten die Kinder, die uns einladen wollten.

»Und...?«

Die erste Pyjamaparty, zu der ich eingeladen wurde, war bei meinem Nachbarn Walt Winters. Wie ich ging Walt in die sechste Klasse. Anders als ich war er gesellig und sportlich, was bedeutete, dass wir im Grunde absolut nichts gemeinsam hatten. »Warum hat er ausgerechnet mich eingeladen?«, fragte ich meine Mutter. »Ich kenn ihn doch überhaupt nicht.«

Sie sagte mir nicht, dass Walts Mutter ihren Sohn zu der Einladung genötigt hatte, aber ich wusste, dass dies die einzig vernünftige Erklärung war. »Ach, geh nur«, sagte sie. »Es wird bestimmt lustig.«

Ich unternahm alles, mich vor der Einladung zu drücken, doch dann bekam mein Vater Wind von der Sache, und es gab kein Zurück mehr. Er sah Walt oft beim Footballspiel auf der Straße und betrachtete ihn als eine jüngere Ausgabe seiner selbst. »Er ist nicht unbedingt der beste Spieler der Welt, aber er und seine Freunde sind eine tolle Truppe.« »Na prima«, sagte ich. »Dann kannst du ja mit ihnen übernachten.« Ich konnte meinem Vater nicht sagen, dass ich Angst vor Jungen hatte, deshalb ließ ich mir für jeden Einzelnen Gründe einfallen, warum ich ihn nicht mochte. Der Hintergedanke war, eher wählerisch statt eingeschüchtert zu erscheinen, aber zuletzt klang ich wie eine Zimperliese.

»Du willst doch nicht, dass ich die Nacht mit jemandem verbringe, der flucht? Der mit Steinen nach Katzen wirft?« »Genau das will ich«, sagte mein Vater. »Und jetzt scher dich rüber.« Außer mir waren noch drei andere Jungen zu Walts Pyjamaparty eingeladen. Keiner von ihnen war besonders beliebt – dazu sahen sie nicht gut genug aus –, aber jeder konnte auf dem Spielfeld oder bei einer Diskussion über Autos mithalten. Es ging damit los, sobald ich das Haus betreten hatte, und während ich so tat, als würde ich zuhören, wünschte ich insgeheim, ich könnte ehrlicher sein. »Was ist denn an Football so toll?«, wollte ich fragen. »Hat ein V-8-Motor irgendwas mit dem Vitaminsaft zu tun?« Ich hätte wie ein Austauschschüler geklungen, aber die Antworten hätten mich mit einer Art ersten Grundlage versorgt. So verstand ich von dem, was sie sagten, nur Bahnhof.

In unserer Straße gab es vier verschiedene Typen von Häusern, und auch wenn Walts anders war als meins, war ich mit der Aufteilung der Räume wohl vertraut. Die Pyjamaparty fand in einem Raum statt, der bei den Methodisten Gemeinschaftszimmer hieß, von den Katholiken als zusätzliches Kinderzimmer benutzt wurde und von den einzigen Juden in unserer Nachbarschaft gleichzeitig als Dunkelkammer und Schutzraum genutzt wurde. Walts Familie waren Methodisten, und der zentrale Gegenstand im Raum war ein riesiger Schwarzweißfernseher. An den Wänden hingen Familienfotos und dazwischen Bilder von Sportlern, die Mr. Winters erfolgreich wegen eines Autogramms belästigt hatte. Ich bewunderte sie, so gut ich eben konnte, obwohl ich das Hochzeitsfoto über dem Sofa viel interessanter fand. Arm in Arm mit ihrem Gatten in Uniform, sah Walts Mutter wahnsinnig, beinahe beängstigend glücklich aus. Die hervorstehenden Augen und das wilde, klebrige Grinsen grenzten an Hysterie, und in all den Ehejahren hatte sich daran nichts geändert.

»Auf was ist die wohl?«, flüsterte meine Mutter, wenn wir auf der Straße an Mrs. Winters vorbeigingen und sie uns freudig aus ihrem Vorgarten zuwinkte. Mir kam es immer so vor, als wäre das zu hart ihr gegenüber, aber nach zehn Minuten im Haus der Winters wusste ich ganz genau, was meine Mutter meinte.

»Die Pizza ist da!!!«, trällerte Walts Mutter durchs Haus, als der Bote an der Tür klingelte. »He, Jungs, wie wär’s mit einer höllisch scharfen Pizza!!!« Ich fand es lustig, dass jemand den Ausdruck höllisch scharf benutzte, wenn auch nicht so lustig, dass ich darüber hätte lachen können. Genauso wenig wie über Mr. Winters billige Imitation eines italienischen Kellners: »Mamma mia Wer möchten noch eine leckere Stück Pizza?«

Nach meiner Vorstellung sollten sich Eltern auf einer Pyjamaparty eher rarmachen, aber Walts Eltern mischten die ganze Zeit mit, schlugen Spiele vor und reichten Snacks und Getränke. Als es um Mitternacht Zeit für den Horrorfilm war, schlich Walts Mutter ins Badezimmer und deponierte ein mit Ketchup beschmiertes Messer neben dem Waschbecken. Eine Stunde später hatte immer noch niemand das Messer entdeckt, und sie begann kleine Hinweise auszustreuen »Muss sich denn keiner von euch mal die Hände waschen?«, fragte sie. »Kann, wer gerade am nächsten zur Tür ist, mal nachschauen, ob genügend frische Handtücher im Bad sind?«

Leute wie sie konnten einen zum Weinen bringen So verknöchert sie auch waren, tat es mir dennoch Leid, als der Film zu Ende war und Mr. und Mrs. Winters Anstalten machten zu gehen. Es war erst zwei Uhr, aber sie waren zweifellos hundemüde. »Ich weiß nicht, wie ihr Jungs das macht«, sagte Walts Mutter und gähnte in den Ärmel ihres Bademantels. »Seit Laurens Geburt bin ich nicht mehr so lange auf gewesen.« Lauren war Walts Schwester, die zu früh zur Welt gekommen war und nur zwei Tage gelebt hatte. Es war passiert, bevor die Winters in unsere Straße gezogen waren, aber es war kein großes Geheimnis, und man brauchte auch nicht zusammenzuzucken, wenn der Name des Mädchens fiel. Das Baby war so schnell gestorben, dass es keine Fotos von ihm gab, aber es wurde trotzdem als volles Familienmitglied betrachtet. Es hatte einen eigenen Weihnachtsstrumpf in der Größe eines Fäustlings, und man feierte auch jedes Jahr seinen Geburtstag, was meine Mutter immer als besonders makaber empfand. »Hoffentlich sind wir nicht eingeladen«, sagte sie. »Ich meine, mein Gott, was soll man einem toten Baby denn schenken?«

Nach meiner Vermutung hielt die Furcht vor einer weiteren Fehlgeburt Mrs. Winters davon ab, es noch einmal zu versuchen, was schade war, da man den Eindruck hatte, sie wünschte sich einen quirligen Haushalt. Man hatte den Eindruck, sie hatte eine Vorstellung von einem quirligen Haushalt, und die Pyjamaparty und das mit Ketchup beschmierte Messer waren ein Teil dieser Vorstellung. In ihrer Gegenwart hatten wir mitgespielt, doch sobald sie Gute Nacht gesagt hatte, war es damit offenbar vorbei.

Sie und ihr Mann stapften schwerfällig die Treppe hoch, und als Walt sicher war, dass sie schliefen, stürzte er sich auf Dale Gummerson und brüllte: »Tittenzwirbeln!!« Brad Clancy warf sich ebenfalls auf ihn, und als sie fertig waren, zog Dale sein Hemd hoch und enthüllte zwei schrumpelige, dunkelrote Brustwarzen, die aussahen wie die übrig gebliebenen Pepperonistückchen in der Pizzabox.

»Oh, mein Gott«, sagte ich und erkannte zu spät, dass ich mich wie ein Mädchen anstellte. Richtig wäre es gewesen, über Dales Missgeschick zu lachen, nicht die Hände aufgeregt vor dem Gesicht hin- und herzuschlagen und zu kreischen: »Was haben sie bloß mit deinen armen Nippeln gemacht! Sollen wir Eis zum Kühlen drauflegen?«

Walt hakte sofort nach. »Hast du da gerade gesagt, du wolltest Dales Nippel mit Eis kühlen?«

»Ah, also nicht ich... persönlich«, sagte ich »Ich meinte mehr allgemein. Als Gruppe. Oder Dale könnte es auch selbst tun, wenn er möchte.«

Walts Augen wanderten von meinem Gesicht zu meiner Brust, und dann fiel die gesamte Pyjamaparty über mich her. Dale konnte seine Arme noch nicht wieder voll gebrauchen und setzte sich auf meine Beine, während Brad und Scott Marlboro mich auf den Teppich drückten. Sie zogen mein Hemd hoch, legten mir eine Hand über den Mund, und Walt packte meine Nippel und zerrte und drehte an ihnen, als handle es sich um zwei besonders fest sitzende Knebelbolzen. »Wer braucht hier Eis!«, sagte er. »Wer hält sich hier für die Erste-Hilfe-Schwester?« Früher einmal hatte ich Walt bedauert, doch jetzt, während mir vor Schmerz die Tränen in die Augen schossen, begriff ich, wie klug die kleine Lauren gewesen war, sich so rasch davonzumachen.

Nachdem sie endlich von mir abgelassen hatten, ging ich nach oben und stellte mich ans Küchenfenster, die Arme vorsichtig vor der Brust verschränkt. Das Haus meiner Familie lag in einer Senke Man konnte es nicht von der Straße aus sehen, aber ich bemerkte dennoch den Lichtschein vom Ende der Einfahrt Es war verlockend, aber wenn ich jetzt ging, würde ich es ewig zu hören bekommen. Der Kleine hat geweint. Der Kleine musste nach Hause Die Schule würde unerträglich werden, also ging ich vom Fenster weg und zurück in den Keller, wo Walt gerade auf dem Couchtisch die Karten mischte. »Gerade noch rechtzeitig«, sagte er. »Setz dich.«

Ich ließ mich auf den Boden sinken und griff so lässig wie möglich nach einer Zeitschrift. »Ich mach mir nicht viel aus Kartenspielen. Wenn ihr nichts dagegen habt, schau ich lieber nur zu.«

»Zuschauen ist für den Arsch«, sagte Walt. »Das hier ist Strippoker. Und da willst du Homo still daneben sitzen und zusehen, wie vier Jungs sich ausziehen?«

Die Logik dieser Aussage war mir nicht ganz klar. »Sehen denn nicht alle zu?«

»Hingucken vielleicht, aber nicht zuschauen«, sagte Walt. »Das ist ein gewaltiger Unterschied.«

Ich fragte, worin der Unterschied bestehe, aber niemand gab eine Antwort. Dann machte Walt mit den Fingern Drehbewegungen in der Luft, und ich setzte mich an den Tisch, inständig einen plötzlichen Gasrohrbruch, einen Kabelbrand oder sonst etwas herbeisehnend, womit sich die Katastrophe Strippoker abwenden ließe. Für den Rest der Gruppe war der Anblick eines nackten Jungen nichts anderes als der Anblick einer Lampe oder einer Badematte, so vertraut und uninteressant, dass man sich nicht groß darum kümmerte, aber für mich war es etwas anderes. Ein nackter Junge war das, wonach ich mich um alles in der Welt verzehrte, und wenn man gleichzeitig etwas anschaute und sich danach verzehrte, kamen gewisse Dinge hoch, ganz besonders ein Ding, das deutlich sichtbar abstand und einen für immer ruinieren konnte. »Tut mir Leid, das sagen zu müssen«, erklärte ich, »aber meine Religion verbietet mir, Strippoker zu spielen«

»Klar doch«, sagte Walt. »Was bist du denn, Baptist?«

»Griechisch-orthodox«

»Gut, dann ist das absoluter Blödsinn, weil die Griechen das Kartenspiel erfunden haben«, sagte Walt.

»Ich glaube, es waren die Ägypter«, warf Scott ein, der sich rasch als der helle Kopf der Gruppe zu erkennen gab.

»Griechen, Ägypter, ist doch alles das Gleiche«, sagte Walt. »Egal, was dein großer Häuptling nicht weiß, wird ihm schon nicht wehtun, also Klappe halten und mitspielen.«

Er teilte die Karten aus, und ich betrachtete nacheinander ihre Gesichter, wobei ich jeden Makel besonders hervorhob und mir einredete, dass diese Jungen mich nicht leiden konnten Ich hoffte darauf, noch den letzten Funken Anziehung vertreiben zu können, doch ist es mein Leben lang so gewesen, dass ich jemanden umso attraktiver finde, je mehr er mich zurückweist. Die einzige Chance war, sie hinzuhalten und jedes Blatt so lange auszudiskutieren, bis die Sonne aufging und Mrs. Winters mit ihren Plänen für ein umwerfendes Frühstück zu meiner Rettung kam.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Hinhaltetaktik nicht funktionierte, schlich ich ins Badezimmer und vergewisserte mich, dass ich eine saubere Unterhose anhatte. Einen Ständer zu bekommen war eine schreckliche Vorstellung, aber im Falle eines Ständers in Verbindung mit einer Bremsspur konnte ich gleich das mit Ketchup beschmierte Messer nehmen und mich umbringen, bevor es zu spät war.

»Seilst du da drinnen einen ab, oder was?«, rief Walt. »Nun mach schon, wir warten.«

Normalerweise gab ich sofort auf, wenn ich mich mit irgendwem messen musste. Schon die kleinste Anstrengung signalisierte Ehrgeiz, und das machte einen nur noch verletzbarer. Wer beim Versuch zu gewinnen unterlag, war ein Verlierer, wohingegen jemand, der sich nichts daraus machte, bloß als Spinner galt – ein Titel, an den ich mich gewöhnt hatte: In diesem Fall allerdings war an Aufgeben nicht zu denken. Ich musste ein Spiel gewinnen, von dem ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was schier aussichtslos schien, bis ich bemerkte, dass es den anderen genauso erging. Selbst Scott hatte keinen genauen Plan, und schon bald stellte ich fest, dass ich den Spielverlauf zu meinen Gunsten manipulieren konnte, indem ich mich mit einem Flair von Kennerschaft umgab.

»Ein Joker und eine Königin sind höher als die Pikvier und -fünf«, sagte ich, um mit meinen Karten Brad Clancy auszustechen.

»Aber du hast einen Joker und eine Pikdrei.«

»Schon, aber durch den Joker wird daraus eine Königin.«

»Ich dachte, Poker verstößt gegen deine Religion«, sagte Walt.

»Das heißt nicht, dass ich keine Ahnung davon habe. Die Griechen haben das Kartenspielen erfunden, denkt daran. Ich hab’s im Blut.«

Als wir anfingen, zeigte die sternförmige Wanduhr halb drei. Eine Stunde später fehlte mir ein Schuh, Scott und Brad waren ihre Hemden los, und Walt und Dale hockten in Unterhose da. Wenn sich so gewinnen anfühlte, verstand ich nicht, warum ich nicht viel früher darauf gekommen war. Sicher in Führung, brachte ich die Jungen in Unterhose unter fadenscheinigen Vorwänden dazu, aufzustehen und durch den Raum zu laufen.

»He, Walt, hast du das gehört? Ich glaube, da ist jemand in der Küche.«

»Ich habe nichts gehört.«

»Warum gehst du nicht kurz hoch und siehst nach? Wir wollen schließlich nicht überrascht werden.« Seine Unterhose war hinten ausgebeult und hing durch wie eine feuchte Windel, aber seine Beine waren kräftig und hübsch anzusehen.

»Dale, kannst du mal nachsehen, ob die Vorhänge auch fest zugezogen sind?«

Er durchquerte den Raum, und ich verschlang ihn mit Blicken, ohne zu fürchten, von den anderen als Gaffer beschuldigt zu werden. Wäre ich Letzter gewesen, hätte das anders ausgesehen, aber als Sieger stand es mir zu, dafür zu sorgen, dass alles seine Ordnung hatte. »Da hinten über der Sockelleiste ist noch ein Schlitz. Bück dich und zieh ihn zu, ja?«

Es dauerte eine Weile, aber nachdem ich ihnen auseinander gesetzt hatte, dass zwei Könige nichts gegen eine Herzzwei und eine Pikdrei ausrichten konnten, zog Walt auch seine Unterhose aus und warf sie auf den Kleiderstapel neben dem Fernseher. »Nun denn«, sagte er. »Jetzt dürft ihr ohne mich weiterspielen.«

»Aber das Spiel ist zu Ende«, sagte Scott.

»Nichts da«, sagte Walt. »Ich bin hier nicht der Einzige, der sich auszieht. Ihr macht jetzt schön weiter.«

»Und was machst du so lange – dich zurücklehnen und zuschauen, wie!«, sagte ich. »Was bist du denn für ein Homo?«

»Genau«, sagte Dale. »Lasst uns was anderes machen. Das Spiel ist langweilig, und durch die Regeln blickt eh kein Mensch durch.«

Die anderen murmelten zustimmend, aber als Walt nicht nachgab, nahm ich den Stapel Karten auf und klopfte damit gebieterisch auf die Tischplatte. »Dann müssen eben alle weiterspielen.«

»Und wie bitte soll das gehen?«, sagte Walt. »Falls du es noch nicht bemerkt hast, ich habe nichts mehr abzugeben.«

»Oh«, sagte ich, »da findet sich schon was. Wenn der mit dem schwächsten Blatt bereits nackt ist, kann er ja eine kleine Aufgabe bekommen. Nichts Großes, mehr so symbolisch.«

»Wie was?«, fragte Walt.

»Ich weiß nicht. Das sehen wir, wenn es so weit ist.«

Im Nachhinein ging ich wohl etwas zu weit, als ich Scott aufforderte, sich auf meinen Schoß zu setzen. »Aber ich bin nackt!«, sagte er.

»He«, sagte ich, »ich bin derjenige, der darunter zu leiden hat. Ich wollte dir nur eine wirklich leichte Aufgabe geben. Oder willst du lieber nach draußen rennen und den Briefkasten abschlagen? In knapp zwanzig Sekunden geht die Sonne auf – willst du, dass die ganze Nachbarschaft dich sieht?«

»Wie lange muss ich auf deinem Schoß sitzen?«, fragte er.

»Keine Ahnung. Eine oder zwei Minuten. Vielleicht fünf. Oder sieben.«

Ich setzte mich in einen Sessel und tätschelte müde mein Knie, als ob es mich große Überwindung kostete. Scott nahm seinen Platz ein, und ich betrachtete unser Spiegelbild auf dem dunklen Fernsehschirm. Da saß ich nun, einen nackten Jungen auf dem Schoß sowie drei weitere, die nur auf Anweisungen von mir warteten. Es war der Stoff, aus dem Träume gemacht sind, bis mir einfiel, dass sie dies alles nicht aus freien Stücken taten. Es war nicht ihr Vergnügen, sondern ihre Strafe, und sobald es vorüber wäre, würden sie einen großen Bogen um mich machen. Es würde Gerüchte geben, ich hätte ihnen irgendwas in die Cola getan, versucht Brad Clancy einen zu blasen und fünf Dollar aus Walts Tasche gestohlen. Nicht mal Mrs. Winters würde mir mehr zuwinken, aber all das käme später, in einem anderen Leben. Im Augenblick genoss ich diese armselige Imitation von Zuneigung, vermaß Scotts Schultern und sein Kreuz und spürte, wie er unter meinen siegreichen Händen erschauerte.